Der Tag, an dem ich „geadelt“ wurde
Montag, 11. Februar 2008, Amtsgericht München. Drei Termine stehen an diesem Tag im Gerichtssaal Nummer B 106 an. Gegen die Deutsche Telekom AG, die Allianz AG und der erste, gleich um halb elf, gegen mich. Seit acht Stunden bin ich bereits auf den Beinen. Und die Fahrt von Düsseldorf nach München mit der Bahn geht auch nicht ganz spurlos an einem vorbei. Dennoch, es ist ein wunderschöner Morgen mit blauem Himmel landauf landab. Aber eiskalt.
Der Flur im ersten Stock des Amtsgerichts in der Pacellistraße 5 ist fast leer. Dann erklingen Schritte und ich erkenne ihn aus den Augenwinkeln: Langsam, ja fast zurückhaltend geht Günter Freiherr von Gravenreuth mit leisen Schritten Richtung Sitzungssaal, bemerkt die noch verschlossene Tür und setzt sich schließlich in einiger Entfernung von mir auf die Wartebank. Mit wievielen Bloggern der streitbare und in der IT-Szene berühmt-berüchtigte Anwalt bereits im Clinch lag, vermag ich nicht zu zählen, doch nun zähle auch ich offiziell dazu.
Alles begann im September
Ich hatte meinen im September verfassten Blogbeitrag „Gravenreuth-Urteil: Jubel, Trubel, Heiterkeit“ zum Fall „taz gegen Gravenreuth“ fast schon vergessen, als mich am 21. Dezember, das Wochenende vor Weihnachten, eine E-Mail aus München, PGP-Verschlüsselt und mit dem Betreff „Abmahnung“ im Header, erreichte.
„Schon wieder einer dieser Spammer mit virenverseuchtem Anhang“, dachte ich zunächst. Nur die PGP-Signierung ließ mich aufhorchen und verhinderte, dass ich die Mail umgehend in den Papierkorb beförderte. Tatsächlich, die Mail war echt – auch die beigefügte .PDF-Datei. Absender: von Gravenreuth. „Oh Oh…“
Zwei Sätze meines Artikels stießen dem Freiherrn dabei offensichtlich sauer auf. Falsche Tatsachenbehauptungen sollten es sein. Die Erste enthalte gar zwei Fehler. Reaktion bis 2. Januar, sonst drohe die Einstweilige Verfügung.
Mmm, wir haben Freitag, Montag ist Heilig Abend und bis zum Zweiten liegen nur noch vier Werktage, Silvester eingeschlossen. Arbeiten Rechtsanwälte da überhaupt? Die Frist war mir zu kurz. Ich entfernte den Text aus dem Netz und teilte Herrn v. Gravenreuth mit, mich bis zum 10. Januar zu äußern.
Nur wenige Minuten später erreichten mich zwei weitere Mails. Diesmal unverschlüsselt. Darin ein Haufen Paragraphen, warum die Frist gerechtfertig sei und eine neue Frist zum 7. Januar – Na also, geht doch! Während die meisten Menschen um diese Zeit wohl eifrig die letzten Weihnachstkarten schreiben, schreiben andere wohl lieber Abmahnungen. Jeder wie er mag. Die Briefversion der ersten Mail folgte der Ordnung halber am nächsten Tag.
Die Tage verstrichen. Ich legte meinen Fall verschiedenen Anwälten vor, per Mail auch Johnny Eisenberg, der Anwalt, der die taz im September gegen Gravenreuth erfolgreich vertrat. Gleichzeitig recherchierte ich meinen Beitrag erneut auf Fehler.
Während ein Anwalt des Deutschen Journalistenverbands mich mit dem Hinweis „unterschreiben sie einfach“ am Telefon abzuwimmeln versuchte und auf den Stapel arbeitsrechtlicher Fälle auf seinem Tisch hinwies, hielt Eisenberg meine Argumente in seiner Antwortmail durchaus für stichhaltig. Das machte mir Mut. Wer wird sich schon gleich ins Bockshorn jagen lassen?
BarCamp-Organisator Franz Patzig empfahl mir den Düsseldorfer Strafverteidiger Udo Vetter, Vetter bloggt selbst aktiv unter lawblog.de und knastblog.de und berichtet fast täglich aus seinem Alltag als Strafverteidiger.
Er nahm sich meines Falles an und teilte Gravenreuth fristgemäß mit, dass wir seine Ansprüche für nicht gerechtfertigt hielten, aber den Text gerne in seinem Sinne abändern würden – natürlich ohne eine Rechtspflicht anzuerkennen. Als Nicht-Jurist kann man das am ehesten wohl mit einem nicht erteilten Schuldeingeständnis übersetzen. Für mich war die Sache damit erledigt.
Die nächsten Tage verbrachte ich fernab der Blogosphäre in den USA. Las Vegas, Death Valley, Los Angeles. Herrliche Landschaften, tolle Shows und viel Unterhaltung. Bleibender Eindruck: Will Smith in „I am Legend“ nachmittags um zwei im absolut menschenleeren „Chinese Theater“ in Hollywood. Wow…
Bei meiner Rückkehr finde ich jedoch einen großen gelben Umschlag in meinem Briefkasten. Gelbe Umschläge sind so eine Sache. Das ist Post von der Sorte, die man besser nicht unbeachtet in der Ecke liegen läßt. Und tatsächlich: ein dicker Brief vom Amtsgericht München. Von Gravenreuth hatte in meiner Abwesenheit Antrag auf einstweilige Verfügung gestellt. Auch wenn der Artikel aus dem Netz entfernt sei, bestünde Wiederholungsgefahr. Das Gericht folgte dem Antrag zwar nicht sofort, lud aber zum Gütetermin: 11. Februar, halb elf.
Der Tag der Entscheidung
Da stehe ich also. Es ist zehn Uhr dreißig. Die Tür wird geöffnet, Gravenreuth tritt wortlos ein. Sein Gang kommt mir langsam und mühsam vor. Schließlich nehmen auch mein Anwalt und ich Platz. Auf dem Tisch steht das Schildchen „Beklagter“ und ich fühle mich schon richtig schuldig.
Gravenreuth schweigt. Ich schaue ihn an. Er kommt mir viel älter vor, als auf dem Foto seiner Homepage. So habe ich ihn mir gar nicht vorgestellt. Ist das wirklich der Mann, der sich auf seiner Webseite so elegant lässig auf einen Computer lehnt, einen großen weißen Telefonhörer in der Hand hält und dabei irgendwie ein beruhigendes „ich erledige das schon für Sie“ ausstrahlt? Heute wirkt er müde, fast angestrengt. Er scheint ganz und gar nicht der zu sein, den ich mittlerweile aus seinen zahllosen Beiträgen aus dem „gulli-Board“ kenne: Der knallharte Jurist, der immer einen lockeren Spruch auf den Lippen – verzeihung – der Tastatur, hat. Ist er es wirklich?
Richterin Gröncke-Müller betritt den Saal. Aufstehen, grüßen, setzen. Sie beginnt die Verhandlung. Jetzt geht es um Paragraphen. Jetzt sprechen die Juristen. In mein Gegenüber kehrt das Leben zurück. Hier ist er in seinem Element, denke ich mir. Hier, in einem Sitzungsaal eines Gerichts.
Die Richterin beginnt mit dem zweiten Teil des Antrags und erklärt, dass sie hier keine Unterlassungsansprüche zu erkennen vermag. Es folgt eine kurze Diskussion, doch Gröncke-Müller bleibt bei ihrer Auffassung. In der Sache stimme meine Behauptung. Die Art der Formulierung lasse Spielräume zu. Soweit so gut.
Der feine Unterschied
Doch beim ersten Teil sieht sie die Sache anders: Ein Unterlassungsanspruch sei durchaus vorstellbar, der beanstandete Satz, hier ging es um eine Erläuterung zu den mittlerweile legendären „Tanja-Briefen“, enthalte einen inhaltlichen Fehler und damit eine unterlassungsfähige falsche Tatsachenbehauptung. Ich hatte in meinem Bericht die „Tanja-Briefe“ zusammengefasst fälschlicherweise als Zeitungsanzeigen statt als Antwortbriefe auf Zeitungsanzeigen dargestellt. Ein kleiner Fehler mit großen Folgen, den ich aus einem Artikel der „taz“ übernommen hatte. Das kommt davon, wenn man sich auf nur eine Quelle verlässt. Aber wem sage ich das. Mittlerweile hat auch die taz im Internet den fraglichen Abschnitt korrigiert.
Gröncke-Müller läßt keinen Zweifel, wie sie aus moralischer Sicht zu der damaligen „Tanja-Aktion“ steht. Aber wir seien heute nunmal nicht hier, um moralische Fragen zu klären, sondern juristische. Wie wäre es, wenn wir uns alle gütlich einigen? Ihr Vorschlag: Vergleich und Aufhebung der gegenseitigen Kosten. Ein wichtiger Hinweis vom Gericht, wenn es darum geht, es auf ein Urteil ankommen zu lassen.
Daraufhin zieht von Gravenreuth den zweiten, nicht erfolgversprechenden Part seines Antrags zurück und spielt den Ball an uns zurück: Sind wir bereit, den ersten Teil anzuerkennen?
Da ich nicht vor hatte, mich die nächsten Wochen und Monate weiter mit dem Fall zu beschäftigen, entschloss ich mich für den Vergleich. Die Richterin formuliert eine entsprechende Unterlassungserklärung. Ausdrücklicher Hinweis: Die alleinige Behauptung „Bekannt wurde der Abmahnanwalt Anfang der 90er Jahre durch die so genannten ‚Tanja‘-Briefe'“ bleibt in Ordnung. Na also, geht doch!
Die Sitzung ist beendet, versammelt verlassen wir den Saal. Vor der Tür kommt es zum Händedruck: „Herr von Gravenreuth“, sage ich und schaue ihm zum Abschied in die Augen. Kurz blickt er mich an, schweigt und geht.
***
Am 22.02.2010 berichtet der IT Dienst heise.de vom Suizid von Günter Werner Freiherr von Gravenreuth. Nach einer Verurteilung wegen Betruges zu 14 Monaten Haft im September 2008 und seiner gescheiterten Revision im Februar 2009 hat sich der Rechtsanwalt in der Nacht zum 22. Februar 2010 in seiner Wohnung erschossen.
Siehe dazu auch golem.de: Rechtsanwalt von Gravenreuth nimmt sich das Leben
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