Stellen Sie sich mal folgendes vor: Es gäbe Menschen, die über das Telefon kostenlos Kinderpornos anbieten würden. Sie müssten nur im Telefonbuch nachschlagen und den richtigen Anbieter heraussuchen. Ein Anruf genügt um das Material zu erhalten. Und jetzt stellen Sie sich mal vor, jemand würde Ihnen sagen, das beste Mittel gegen solche Verbrecher wären neue Telefonbücher, in denen die Rufnummern dieser Anbieter geändert wurden und auf eine automatische Ansage leiten. Dort würde dann jedem Anrufer gesagt, dass hier früher verbotene Kinderpornos erhältlich waren und das so etwas verboten sei. Sie würden dieser Person wahrscheinlich für verrückt erklären.
Aber genau so funktionieren die Zugangssperren, die unsere Politiker in Deutschland 2009 noch als die geeignete Maßnahme im Kampf gegen Kinderpornografie im Internet angepriesen haben. Mittlerweile sind sie schlauer geworden und haben ihren Irrtum eingesehen (oder der Wahlkampf ist vorbei). Bei der EU in Brüssel scheint man von der Debatte leider nicht viel mitbekommen zu haben und so werden die Alten, längst überholten Ideen, wieder hervorgekramt und als geeignete Maßnahme im Kampf gegen Kinderpornografie angeführt. Aber auch einige Journalisten haben nichts gelernt:
Ungeachtet aller Argumente, die im vergangenen Jahr von unzähligen Fachleuten, Internetnutzern und nicht zuletzt 130.000 Unterzeichnern einer Online-Petition gegen die Sinnhaftigkeit von Zuganssperren vorgebracht wurden, berichtet Patricia Wiedemeyer vom ZDF, als hätte es diese Diskussionen nie gegeben. Sie beginnt wieder bei Null und man fragt sich, wo sie das letzte Jahr verbracht hat. Alles wieder von vorne erklären? Bei soviel Ignoranz fühlt man sich zwangsläufig an Don Quichotte erinnert.
Patricia Wiedemeyer ist Korrenspondentin in Brüssel. Neben ihrem Beitrag in diversen ZDF Nachrichtensendungen schrieb sie auch im ZDF Blog „Kennzeichen Digital“ unter der Überschrift „Höchste Zeit für Netzsperren gegen Kinderpornos“ so unsinniges wie überflüssiges Zeug wie:
„Nach bereits zwei Klicks kann man im Internet Kinderpornos anschauen“
Wieso gerade nach zwei Klicks? Wer genau weiß, wo er sich Kinderpornos besorgen kann, wird dafür wohl gerade mal einen Klick in seine Favoritenleiste benötigen. Aber mal grundsätzlich gefragt: Stolpert man wirklich so leicht über Kinderpornos im Web, wie die Autorin suggerieren will? Selbst wer mit google aktiv danach sucht, wird, wenn er nicht gerade als Insider der Szene über das entsprechende Vokabular verfügt, kaum erfolgreich sein.
Aber es geht weiter: Wiedemeyer findet den Vorstoß der EU Innenkommissarin Cecilia Malström auch deswegen gut, da ihr Gesetzentwurf vorsieht, auch den zu bestrafen der „Kinder zu sexuellen Darbietungen etwa vor einer Webcam zwingt oder überredet.“ Jede Wette: Ein Kind, egal ob vor einer Web-, Video- oder Fotokamera zu sexuellen Darbietungen zu zwingen, ist bereits heute strafbar. Oder habe ich da etwas verpaßt? War sexuelle Nötigung von Kindern vor einer Webcam etwa bislang legal? Gab es da einen Ausnahmeparagrafen?
Doch damit nicht genug. Wiedemeyer wiederholt gebetsmühlenartig das, was längst widerlegt ist:
„Internetsperren können von Profis zwar umgangen werden, halten aber einfache User vom Zugang ab.“
Jaja „Saddam hat Massenvernichtungswaffen, Saddam hat Massenvernichtungswaffen“. Nur weil man etwas entgegen besseren Wissen gebetsmühlenartig wiederholt, wird es nicht richtiger. Eine Zugangssperre lässt sich mit ebenso wenigen Mausklicks wie Frau Wiedemeyer für das Ausfindigmachen von Kinderpornos anführt, umgehen. Profi muss man dazu ebenfalls nicht sein. Und wer wirklich an das Material herankommen will und noch nicht weiß, wie er die Zugangssperre umgeht, wird dies in kürzester Zeit herausfinden. Das ist dann ungefähr genauso schwer, wie einen Videorekorder zu programmieren, wenn man erst die richtige Seite im Handbuch aufgeschlagen hat.
Auch die Kritiker, die in den Zuganssperren ein Instrument der Zensur sehen, will Wiedermeyer nicht verstehen.
„Deutschland kann sich nicht weiter auf dem Recht auf freie Meinungsäußerung ausruhen.“
Kein Kritiker sieht in der Darstellung von Kinderpornografie eine Meinungsäußerung, die es zu schützen gilt. Nie hat dies jemand behauptet. Die Kritik zielt eher darauf ab, dass mit einer Sperrung kein kinderpornografisches Material gelöscht wird und es statt dessen weiter erreichbar bleibt für den, der es wirklich haben will. Gleichzeitig lassen sich aber mit einer bestehenden Sperrinfrastruktur in Zukunft willkürlich und sehr einfach, andere mißliebige Webseiten sperren und damit deren Verbreitung behindern. Das macht doch keiner? Schon im letzten Jahr tauchten nach dem Thema Kinderpornografie weitere Forderungen verschiedener Lobbygruppen nach Sperrung unliebsamer Inhalte auf. Von Tauschbörsen über Computerspiele bis hin zu Pornos generell.
Löschen statt sperren
Kritiker fordern generell „löschen statt sperren“, denn nur wenn die Inhalte aus dem Netz entfernt wurden, kann sichergestellt sein, dass niemand mehr darauf zugreifen kann. Diese Forderung wischt Wiedemeyer mit einem fadenscheinigen Argument vom Tisch:
„Die deutsche Lösung, das Löschen von Internetseiten, ist weltweit nicht durchsetzbar, weil die USA oder Russland da nicht mitmachen würden. Gerade von russischen Providern kommen aber viele kinderpornografische Seiten.“
Warum würde das Löschen von Kinderpornografie in den USA oder Russland nicht durchsetzbar sein? Ist es dort etwa nicht auch strafbar? Warum sollten die Länder ein Interesse daran haben, Kinderpornos zu dulden? Man fühlt sich fast an die hilflosen Argumente von Ex-Familienministerin Ursula von der Leyen erinnert, die damals behauptete, in Indien oder Kasachstan würde Kinderpornografie nicht weiter verfolgt. Die jeweiligen Regierungen protestierten über ihre Botschaften heftig, als Ihnen diese Äußerung bekannt wurde.
Eine Studie von Tyler Moore und Richard Clayton von der Universität Cambridge kam zu dem Ergebnis, dass Phising Webseiten, die Nutzern Bankdaten abluchsen wollen, viel schneller aus dem Netz entfernt werden, als Seiten mit kinderpornografischen Inhalten.
…the bulk of child sexual abuse images are illegal to distribute in all relevant jurisdictions, and hence it should be expected that any such material is promptly removed. […] It is apparent that the presence of incentives to remove offending material has the greatest impact on website lifetimes. By far, phishing websites are removed fastest. […] The long lifetimes of websites hosting child sexual abuse images is particularly striking. In spite of a robust legal framework and a global consensus on the content’s repulsion, these websites are removed much slower than any other type of
content being actively taken down…
Es scheint also doch zu gehen – wenn man nur will.
Im ZDF Blog hagelte es den ganzen Tag wütende Leserproteste. Obwohl man auf der Webseite dazu aufruft, in Dialog mit den Medienmachern des ZDF zu treten – „Diskutieren Sie mit uns und untereinander! Wir freuen uns darauf“ – war man von dem Ansturm wohl überwältigt. Die Leser waren ohnehin einer Meinng, einen echten Dialog hat es auch nicht gegeben. Nur einmal meldete sich Wiedemeyer in den Kommentarspalten zu Wort und bekräftigte ihre Behauptung, sie habe nur zwei Klicks für die Kinderpornos gebraucht.
Um dem wütenden „Netzmob“ den Wind aus den Segeln zu nehmen, bemühte das ZDF dann den Onlinejournalisten Mario Sixtus mit einem Gegenbeitrag. Leider wird man auf eine ausgleichende Ausstrahlung dieses weitaus sachlicheren Artikels in den einschlägigen Nachrichtensendungen des ZDF vermutlich vergeblich warten.
Hervorragender Beitrag! Sehr gute Analyse des ZDF-Blogs!
Zitat:
„Deutschland kann sich nicht weiter auf dem Recht auf freie Meinungsäußerung ausruhen.“
Freie Meinungsäußerung in Deutschland? Das gibt es nicht. Die Meinungsfreiheit ist in Deutschland viel weiter eingeschränkt als in vielen anderen westlichen Ländern. Volksverhetzung, Holocaustleugnung, Verunglimpfung Verstorbener usw. Zum Teil durchaus gute Gründe. Aber entweder es gibt Meinungsfreiheit, dann muß ich auch Meinungen aushalten, die mir widerstreben oder die sogar nachweisbar falsch sind. Oder es gibt eben keine Meinungsfreiheit. Dann brauche ich aber auch nicht so zu tun als ob.
In den USA wird die Meinungsfreiheit seit der Unabhängigkeitserklärung hochgehalten wie nirgends sonst. Ja, und auch da gibt es Leute, die den Holocaust leugnen, volksverhetzende Äußerungen tätigen oder das Andenken Verstorbener mißachten (wie grad erst diese komische Baptistensekte, die Eltern gefallener Soldaten bei der Beerdigung verhöhnen). Solche Meinungen tun weh, aber keine kommt in den USA ernsthaft auf die Idee, sie zu verbieten. Ginge auch gar nicht. In der amerikanischen Verfassung bzw. dem Zusatzartikel ist sie festgeschrieben. Im deutschen Grundgesetz heißt es dagegen, die Meinung sei frei solange sie nicht durch Gesetze eingeschränkt ist. ROFL – wenn’s nicht so traurig wär.
Zitat:
„Die deutsche Lösung, das Löschen von Internetseiten, ist weltweit nicht durchsetzbar, weil die USA oder Russland da nicht mitmachen würden.“
In den USA ist KiPo genauso verboten und eine Straftat wie auch bei uns. Selbstverständlich löschen dort Provider, oft auch ohne richterliche Anordnung, solchen Schund schnellstens. In welcher Welt lebt diese Frau Wiedemeyer eigentlich?
Niemand braucht nur zwei Klicks, um auf KiPo-Seiten zu stoßen. Es sei denn er hat diese Seiten als Lesezeichen abgelegt – dann braucht er ein Klick. Außerdem findet der Austausch solches Drecks normalerweise nicht über Internetseiten statt, sondern privat, auf geschützten Servern und in entsprechenden Tauschbörsen, die von Außenstehenden praktisch nicht einsehbar sind.
Was Frau Wiedemeyer eventuell mit einigen Klicks finden kann, sind kinderpornografische Erzählungen in Textform. Dies ist in den meisten Ländern nicht verboten. Dazu kann man unterschiedlicher Meinung sein. Aber selbst solche perversen Geschichten sind noch lange keine KiPo. Dazu gehört ein mißbrauchtes Kind. Mit Ergüssen einer eventuell kranken Phantasie wird kein Kind mißbraucht.
Ich werde diesen Kommentar auch versuchen im ZDF-Blog zu veröffentlichen.
Ich will das ZDF keinesfalls in Schutz nehmen! Aber man muss mal die Zielgruppe (wohl mittlerweile 50+) des Zweiten Deutschen Fernsehens berücksichtigen. Für die ist Internet sowieso böse und man wird nur abgezockt und es ist voll Igitt-Igitt-Pornos. Schon die Werbung „Mit dem Zweiten sieht man besser“ sagt einem doch schon, dass die beim ZDF wohl auf dem anderen Auge etwas blind sind *-)